Anna’s Wake (1992) 3-D Oper für Tonband, Live Sängerin und 16mm Film,
(UA Berlin, 1993) Dauer: 55 min.

Text, Idee, Regie: Iris ter Schiphorst und Christine Daum
16mm-Film: Christine Daum

Gefördert aus Mitteln der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten (Referat E-Musik) und der Künstlerinnenförderung 1992
UA: 29.1. 1993, Berlin, Ballhaus Naunynstraße, Darstellerin und Sängerin auf der Bühne und im Film: Anna Clementi


ANNO A … Anfang der Psychoanalyse oder Ende der Oper? - in der Mitte:
ANNA O … Eine Stimme oder eine Frau? In Bildern, Tönen oder Worten? Eine Musik:
O ANNA … „O erzähl mir alles von ANNA..! Ich will alles hören von ANNA… Ach, du kennst ANNA..? Ja, doch, klar, wir alle kennen ANNA… Erzähl mir alles. Erzähl’s mir jetzt. Dich trifft der Schlag, wenn du’s hörst.”


Hörbeispiel ANNA’S WAKE 

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Synopsis:
Aus dem spielerischen Umgang mit der Geschichte der Oper und der Krankengeschichte der ersten von der Psychoanalyse angeblich kurierten Hysterikerin ANNA O… entstand ein multi-mediales Spektakel, das im Kielwasser überbordender Bedeutung Joyce’scher Moderne schwimmt und zugleich eine Totenwache für das Stigma einer weiblichen Krankheit ist.
Erzählt wird in drei visuell und musikalisch unterschiedlich akzentuierten Teilen die Wandlungsfähigkeit einer Frau – ANNA, die deren verschiedene Erscheinungs- und Äußerungsformen nach sich zieht.

ANNA läßt sich nicht festlegen, endgültige Bestimmungen holen sie nicht ein. Ironisierte sie eben noch Bel Canto singend den Gestus einer Opern-Diva, kann sie im nächsten Moment bereits von ihrem eigenen melancholischen Bild affiziert sein. Die Stimmungen und Bilder wechseln, schwingen hin und her wie eine Schaukel. Aber ANNA treibt durch unterschiedliche Zeiten hindurch mindestens so sehr ihre Selbstinszenierungen, wie sie dem Wechsel der Bilder und Töne, den medialen Festlegungen um sie herum ausgesetzt scheint.

Presse:
Berliner Tagesspiegel vom 15. 2. 1993

Lädierte Puppe/Die Triple-D-Oper „Anna’s Wake“ im Ballhaus Naunynstraße
Der hysterischen Frau verdanken sich in gewisser Weise die Hauptentdeckungen der Psychoanalyse. Freuds Patientin Anna O. ist nun zur Protagonistin einer Triple-D-Oper für Film, Tonband und Live-Gesang geworden. In „Anna’s Wake“ mutmaßen die Komponistin Iris ter Schiphorst und die Filmemacherin Christine Daum über die Zusammenhänge zwischen dem „Ende der Oper“ und dem Anfang der Psychoanalyse. Zeitlich gesehen fällt die Vollendung der Oper am Ende des 19. Jahrhunderts ja mit der Entdeckung des Unbewußten zusammen. „Anna’s Wake“ ist aber auch als Untersuchung der weiblichen Stimme, ihrer Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten und zugleich als Huldigung an die römische Sängerin Anna Clementi konzipiert.
Es beginnt mit einer Reminiszenz an die Überhöhung des Gefühls im Gesang, der Belcanto wird buchstäblich auf die Spitze getrieben. Auf erhöhtem Podest plaziert, mit verlängerten Proportionen an eine von Klimts Jugendstil-Heroinen erinnernd, muß Anna Clementi gegen ein Gewirr elektronisch verzerrter Stimmen ansingen. Die Stimmenvielfalt im Kopf – sie läßt sich nicht mehr bändigen, im schönen Klang bannen…. Im zweiten Teil treibt Anna Clementi ihre Stimme zu einem sparsam instrumentiertem Klang-Invironment in die Extremregister. Im dritten entdeckt sie das Alphabet als Klangmaterial, die Lautwiederholungen und Wortspiele bringen eine komisch-ironische Note in das Spektakel.
Anna mit den vielen Gesichtern: am Ende präsentiert sich die Sängerin als strahlende Androgyne im weißen Anzug. Der Gesang findet zum Melodiösen zurück und gleicht nun einer Namensbeschwörung. Neben Anna Livia Plurabelle aus „Finnegang’s Wake“ von Joyce wird auch eine gewisse DIANA erwähnt. Anna ist nicht eine, Anna – das sind viele.
Von Sandra Luzina

Berliner tip, Heft 4/93
SOLO FÜR ANNA/Die Triple D‘Opera „Anna’s Wake“ kommt mit nur einer Darstellerin aus

Ein Rollstuhl markiert den Anfang der Geschichten. Von da an bewegt sich die Sängerin und Schauspielerin Anna Clementi auf allen Ebenen am Abgrund entlang. Im Ballkleid humpelt sie über nächtliche Straßen, auf Stöckelschuhen geht sie über zerbrochenes Glas: ihre Wohnung ist ein Labyrinth aus Spiegeln, Erinnerungen und Alkohol. Die 3-D-Oper „Anna’s Wake“, die die Komponistin und Musikerin Iris ter Schiphorst und die Filmerin und Autorin Christine Daum geschrieben hat, rankt sich rund um die Krankengeschichte der Berta Pappenheim – besser bekannt als der Fall der Anna O., wie die Begründerin des jüdischen Frauenverbandes auf ihrer Psychiatrieakte hieß. Das Werk hat drei verschiedene Ebenen, die sich permanent überschneiden. Einerseits ist da die Komposition, eine von Stimmengewirr, Chorgesängen, Alltagsgeräuschen und instrumentierten Parts lebende Tonspur, die vom Band kommt und sowohl Rückgrat als auch treibende Kraft des Ganzen ist. Andererseits visualisiert der Film, der abwechselnd auf zwei verschiedenen Leinwänden abläuft, die Zustände, in denen die einzige Figur der Oper eingemauert ist. Anna Clementi, die Filmdarstellerin, ist aber auch leibhaftig anwesend, das ist die dritte Ebene…. Dabei ist die Choreographie von „Anna’s Wake“, das Zusammenspiel von Filmfigur und Live-Darstellerin, minutiös gearbeitet: Anna Clementi kommuniziert mit ihrem eigenen Bild, mit ihrer eigenen Geschichte. Hat sie live ein weißes Kleid an, so sitzt sie sich auf der Leinwand in einem grünen Zweiteiler gegenüber. Singt sie, bewegt sich oft auch ihr Zelluloid-Mund, schreit, atmet, gibt Unterbewußtes preis. Wer sich auf den multimedialen Pfad einer Hysterikerin bewegen will, kann das vom 12. bis 14. Februar tun.
Von Anna-Bianca Krause

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